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Die Gesundheitswirtschaft gilt als der Wachstumsmarkt des 21. Jahrhunderts, Klinken wollen ihre Aktionäre mit einer guten Dividende zufrieden stellen. Allein in Deutschland werden insgesamt jährlich ca. 300 Mrd. Euro für das Gesundheitswesen ausgegeben. Gesundheit ist ein Geschäftsmodell und dabei spielt die elektronische Digitalisierung als wesentlicher Treiber der sog. Modernisierung eine zentrale Rolle.
In der Antike bedeutete Gesundheit das körperlich, seelisch und soziale Wohlbefinden, das auf Genuss im Hier und Jetzt ausgerichtet war. Heute dagegen ist Gesundheit auf Zukunft gerichtet und mit einem permanenten Abwehrkampf verknüpft. Das Jetzt wird durch das Zukünftige bedroht, die gesunde Brust wird amputiert, weil sie erkranken könnte. Gesundheit hat nichts mehr mit Wohlbefinden zu tun, sondern mit Abwesenheit von Krankheit und Krankheit ist normabweichend.
Wie stelle ich die Norm her? Der Mensch wird als numerisches Objekt betrachtet. Die permanente Selbstvermessung produziert Daten, die über die Statistik zur Schein-Normalität und darüber zu einem gravierenden Konformitätsdruck bei den Menschen führt. Es ist eine neoliberale Strategie, die die Verantwortung für Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, verdreckte Luft in die Selbstsorge – du bist verantwortlich- verlagert. Silja Samerski spricht von predictive policing in der Medizin. Sie verabschiedet sich vom Menschen aus Fleisch und Blut und behandelt nur noch Risikofaktoren, also statistische Populationen und Gespinste aus Wahrscheinlichkeiten. Ziel ist nicht mehr Heilung, sondern präventive Verhaltenssteuerung. Der Medizinsoziologe D. Armstrong sprach daher bereits 1995 von einer „Überwachungsmedizin“. Dabei geht es weniger um repressive Kontrolle und Steuerung von außen, sondern um eigenverantwortliche Selbst-Überwachung: Selbst-Vermessung,
das self-tracking, Risikoaufklärung und der Appell an die „Selbstbestimmung“ verlagern die Überwachung in die Menschen selbst. Durch ein Prämiensystem der Versicherungen soll uns die Vermessungslust an trainiert werden.
Selbst Google ist seit 2015 mit dem Einstieg bei Oskar, einer Krankenversicherung in den USA, im Gesundheitswesen mit dem Prinzip „Kostenkurve durch Technologie absenken“ präsent. Fitness-Armbänder und Fitness-Apps werden angeboten, die Körperdaten sammeln. Subjektiv vermitteln sie ein Gefühl von „ich tue etwas für meine Gesundheit“, objektiv stellen sie den Datenkraken eine unglaubliche Menge von persönlichen Daten zur Verfügung, die ökonomisch verwertbar sind. Nach einer aktuellen Studie des IT-Verbands Bitkom nutzen heute bereits 31 % der Bundesbürger ab 14 Jahren sogenannte Fitnesstracker zur Aufzeichnung von Vitalwerten. 75 % der Befragten äußerten ihre Bereitschaft, im Krankheitsfall die per Fitnessarmband, Smartphone oder Smartwatch (sog.
Wearables) gewonnenen Daten an den Arzt zu übermitteln, unter chronisch Kranken wären es sogar 93 %. Google und Appel hätten gern über ihre Apps Google Fit und HealthKit die Smartphones zur Gesundheitszentrale ausgebaut: Arzt- und Labouruntersuchungen werden digital verwaltet, inklusive Medikation und Eingabe von Essgewohnheiten. Die Generali-Gruppe versucht in Kooperation mit dem südafrikanischen Versicherer Discovery ein Telemonitoring in Europa einzuführen. Die App misst alle Aktivitäten des Menschen und dann gibt es Preiserlasse bei der
Versicherung. Die, die aus der Selbstoptimierung rausfallen, können sich über Crowdfunding ihre Gesundheitskosten wieder rein holen. Wenn es nicht klappt, Pech gehabt.
Die Medien sind derzeit voll mit Berichten über die sogenannten Lebensoptimierer wie die smartwatch. Der Fitness-Tracker überwacht unsere Schrittzahlen oder unsere Schlafbewegungen, Sender im Brustgurt messen permanent unsere Herzfrequenz, die Maschine erinnert mich an meine Pilleneinnahme, Cardio Dock steckt in meinem Blutdruckmessgerät und zeichnet alle Daten für mich auf. Der Wachstumsmarkt der mobilen Gesundheitsgeräte ist enorm, es wird von mHealth – mobile Health gesprochen. 2013 wurden 6,6 Milliarden Dollar für mHealth ausgegeben und die Marktforschungsfirmen berechnen für 2018 etwa 20 Milliarden Dollar Umsatz. Was hier passiert, ist sehr simpel, es werden unendlich viele Daten gesammelt und aus ihnen werden Algorithmen entwickelt, die allgemeine Aussagen in die Welt bringen, die behaupten, eine Wahrheit zu produzieren. Sich dem Algorithmus unterzuordnen heißt, seine eigene Entscheidungskompetenz aufzugeben.
Mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, eGK, wird versucht, das Bild einer optimaleren Versorgung der Patienten zu installieren. Ein Vertreter der Ärzteschaft stellte die Fragen, um die es bei der Einführung der eGK geht: „Wer hat welche Krankheiten und gesundheitlichen Probleme? Wer nimmt welche Medikamente? Wer eignet sich als künftiger Konsument, als Zielgruppe für die Interessen von Pharmaindustrie,
Healthcare und Gesundheitswirtschaft? Wer stellt ein schlechtes Risiko dar, dem mensch besser keine Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung anbietet, keine Krankenversicherung, dem mensch vielleicht besser keinen Kredit gibt oder vielleicht erst gar keinen Job?“ Interesse an diesem Projekt haben die Kassen, die Informationstechnologie-Industrie und die Gesundheitswirtschaft. Informationelle Selbstbestimmung gibt es in diesem Rahmen nicht mehr. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, über die Kenntnisse unserer sensiblen Gesundheitsdaten manipuliert, erpresst und ausgegrenzt zu werden. Auch in Deutschland ist erlaubt, Daten, wenn sie anonymisiert sind, zu verkaufen. Und alle Export*innen garantieren, dass bei der vorgesehenen Datenmenge, zentral gespeichert, eine Repersonalisierung möglich ist. Die Projektentwickler*innen wissen, dass z.B. über Metadaten entpersonalisierte Daten wieder Personen zuzuordnen sind. Der Fachbegriff heißt „Re-Engineering“. Das Vorstellungsgespräch lief gut, aber den Job hast du nicht gekriegt. Der Firma lag eine Information über eine sog. Erbkrankheit vor, die bisher zwar zu keinen Einschränkungen geführt hat und möglicherweise auch nie zu einer führen wird. Diese Information hat zur Negativentscheidung geführt. Informationelle Selbstbestimmung und zentrale Medizindatenspeicherung schließen sich aus.
Wenn ich aus der toten Logik der Maschinenwelt aussteigen will, muss ich die heutige naturwissenschaftliche Logik in der Informationstechnologie verlassen. Die Dominanz des optisch Sichtbaren führt zur Reduzierung des Menschen auf diesen Bereich und das bedeutet den Ausschluss von haptischen (körperlichen), von ganzheitlichen Methoden, die außerhalb der Logik der heutigen Naturwissenschaft liegen. Berührungserfahrungen und Gerüche sind weitgehend ausgegrenzt. Die Entfremdung vom eigenen Leib, vom Empfinden, ist verfeinert. Das Lebendige scheint bedrohlich, muss kontrolliert und unterworfen werden. Der moderne Mensch ist nicht sein Körper, er hat einen
Körper. Lebensprozesse sind in der digitalen Ökonomie (und dazu zählen auch eHealth), die Summe quantifizierbarer physikalisch-chemischer Vorgänge. Das macht uns steuer- und ausbeutbar.